Freitag, 25. September 2020

Wer sucht, der findet - faszinierende Hände, die Brücken bauen.



25.9.2010

Erst um 11:00 Uhr schleiche ich los. Ich habe nur 4 Stunden geschlafen. Draußen ist es kühl, 13°, zum ersten Mal ziehe ich in Venedig einen Mantel an. Am Wasser ist es windig, erstaunlich viele Leute sind unterwegs. Wir haben Wochenende, und es ist deutlich voller geworden. 

Noch habe ich mir keinen Plan für heute zurecht gelegt, aber das stört mich nicht weiter. 

Der Bezirk Castello hat viel zu bieten, also wandere ich hier umher und komme an der Kirche San Zaccaria vorbei, die ich gestern schon von außen bewundert habe.                                                                 

Der Baustil ist interessant. Hier vermischen sich der Gotische Stil mit dem der beginnenden Renaissance.  Ursprünglich stand hier ein Kloster für unverheiratete Töchter aus den besten Häusern Venetiens. Diese sollen sich unter anderem durch Prunksucht für ihr Wegsperren aus dem öffentlichen Dasein gerächt haben. Schon im 9. Jahrhundert soll das Kloster gegründet worden sein, später abgebaut und statt dessen wurden hier im 10. Jhdt. 2 ineinander übergehende Kirchen errichtet. Das rechts stehende Gotteshaus geht bei der Betrachtung völlig unter, die linke Fassade dominiert. Drinnen merkt man allerdings sehr deutlich, dass man zwischen 2 Baustilen hin- und her geht.                         

Kriminalgeschichten gab es zu der Zeit auch schon reichlich. So wurde im 9. Jahrhundert, direkt nach der Eröffnungsmesse einer der Dogen gleich beim Verlassen der Kirche von einem Abtrünnigen erschlagen. So heißt es jedenfalls. Und 300 Jahre später schlug in unmittelbarer Nähe erneut ein Täter zu. Das wäre ja eigentlich Stoff für einen spannenden Krimi, gleich geplant mit Folge 2. Wenn ich mal Zeit habe... 

Trotz dieser Schandtaten war die Krypta, die aus dem 9. Jahrhundert stammen soll, Wunschort für die Ruhestätte verstorbener Dogen, um dort auf ihre Auferstehung zu warten. Alleine 8 der ältesten Dogen vom 9. bis zum 11. Jhdt. sollen hier ruhen.  Man kann leider nur einen seitlichen Blick hinein werfen, da sie unter Wasser steht. 

Ansonsten ist die Kirche für Werke berühmter Maler, ihr Chorgestühl und die Goldene Kapelle bekannt. Das bekannteste Werk ist eines von Giovanni Bellini, die Sacra Conversazione von 1505, auf dem sich Madonna mit Petrus und anderen wichtigen Figuren aus der Bibel unterhält.



3 der 5 geschnitzten und vergoldeten Stühle stammen noch aus dem 17. Jhdt. Auf ihnen ließen sich die Dogen nieder, wenn sie einmal im Jahr das Nonnenkloster besuchten.

                                                                                   

Ich wandere noch ein bißchen in den Gassen herum, um dann in Richtung der Haltestelle Arsenale zu gehen. Aber erstmal gibt es einen Cappuccino.


Auf das gewünschte Boot müsste ich 15 Minuten warten. In der Zeit kann ich auch zu Fuß gehen, komme an der Via Garibaldi vorbei und sehe zum erstmal einen Teil vom riesigen Arsenale. Dort irgendwo ist mein heutiges Ziel versteckt.


Via Garibaldi

Im Eckhaus ganz vorne rechts, das wie ein Schiff gebaut ist, soll Giovanni Caboto gewohnt haben, bevor er 1497 unter englischer Flagge, 5 Jahre nach Kolumbus Entdeckung von Amerika, in Neufundland gelandet sei. Während Columbus glaubte, er sei in Indien, meinte Caboto, er sei in China.


Blick zum Arsenale

An dieser schönen Villa (unten) kann ich nicht so einfach vorübergehen. Es ist der Palazzina Canonica, 1911 im Neorenaissancestil erbaut. Ursprünglich gab es sogar einen Wassereingang zur Lagune. Das war aber vor dem Ausbau der Promenade.

Im Garten gedeihen Granatäpfel. Im Gebäude, das zwischendurch mehrere Jahre leer stand, fanden desöfteren Ausstellungen im Rahmen der Biennale statt, zuletzt war es 2019 Ausstellungsort von Neuseeland.  Außerdem ist eine historische Bibliothek dort untergebracht.

Bei der Biennale 2017 wurde besonders viel Kunst im Bereich der Uferpromenade von der Haltestelle Arsenale bis zur Haltestelle Biennale  geboten. Und diese Kunst war sogar kostenfrei zu bestaunen! "Riva dei Sette Martiri" nennt sich hier der kurze Bereich der Uferpromenade. 1930 wurde er verbreitert und für Militäraufmärsche, sowie für faschistische Aufmärsche benutzt.  Nachdem zunächst das faschistische Regime die Villa beschlagnahmt hatte, nisteten sich 1943 die Nazis dort ein.  

Vor dem Ausbau der Promenade waren hier überall Werften angesiedelt. Im riesigen Arsenale Gebiet wurden schon seit dem 12. Jahrhundert Schiffe fast am Fließband gebaut. Ohne diese Werften wäre Venedig keine so mächtige Seemacht geworden.                                                            

Auch die 2 Skulpturenparks in den Gardini della Marinaressa stehen auf ehemaligem Werftgebiet, das bereits in den 30/er Jahren in einen Park verwandelt wurdet. Vom Europäischen Kulturzentrum werden sie jetzt als Veranstaltungsort genutzt. 

Zuerst besuche ich den Ponente- Garten. Hier wird gerade mit dem Elefanten gearbeitet. Ein Rhinozeros hing hier glaube ich auch schon einmal. Für den Elefanten muß in luftiger Höhe ein sicherer Platz gefunden werden. Er braucht wohl ab und zu Luftveränderung. Im letzten Jahr hing er in einem anderen Garten. Man bemüht sich, ihn stabil zu positionieren, will dabei aber keine Zuschauer haben. Merkwürdig. Die Ausstellung "Open Space" ist nämlich seit dem 28.8.20 geöffnet! Und nun soll ich wegschauen?


Marta & l'Elefante (Stefano Bombardiere Italien)


Berengei 2019 (Edwin Hamilton USA)

Planet Earth von Riccardo Gatti (2020)

Triffid V 2019 (André Valley USA)

Der Levante Garten, nur wenige Schritte entfernt, beherbergt ebenfalls Objekte von Open Space. Auch der ist eigentlich geöffnet, wie deutlich zu lesen ist. Ein junger Mann dreht hier aber gerade ein Werbe-Video über die Ausstellung und sperrt kurzerhand den ganzen Park zu. Man könne ja am Nachmittag oder morgen wiederkommen meint er. Noch viel merkwürdiger finde ich das. Solche Infovideos kann man ja auch vor Ausstellungseröffnung drehen oder vor 10:00, wenn die Tore noch geschlossen sind.

Ich komme nun langsam wieder in Schwung, auch das Wetter hat sich gebessert.  Den zweiten Park werde ich dann eben morgen anschauen.  

Jetzt schaue ich mir noch relativ großen den Park an. Das sind wohl die Giardina im Stadtteil Castello, wo sich der Eingang zur Kunst-Biennale befindet. Sonst sind hier Objekte in den Länderpavillons zu besichtigen. 2020 ist coronabedingt alles anders und die Biennale weitestgehend ausgefallen.                      Im Park entspannt es mich herumzulaufen und auf einer Bank auszuruhen.  



Ich hatte eigentlich vermutet, dass ich schon auf dem richtigen Weg wäre zu meinem Ziel im Arsenale. Aber nein! Ich war schon viel zu weit gegangenen und  muß ein ganzes Stück zurücklaufen. Na gut... Es gibt ja immer was zu sehen. Ich will es mal locker nehmen. 


So schön es sein kann, an Kanälen entlang zu laufen, in kleinen Gassen zu verschwinden und immer wieder Neues zu entdecken, bei brennender Sonne endlos hin- und her zu irren, wird irgendwann nervig.
2 junge Männer zeigen mir den richtigen Weg. Zurück zum Anfang heißt es, wie beim Würfelspiel. An der Haltestelle Arsenale war ich heute schon mehrfach. Sie rieten mir, dann ein Vaporetto rund um die Landzunge zu nehmen, an der Haltestelle Bacini auszusteigen, und dann wäre ich da, wo ich hinwollte. Ich vertraue ihnen. Was bleibt mir anderes übrig.
Aber zuerst noch ein paar Fotos von meiner ungeplanten Wanderung.


Das Wetter ist offenbar gut, um die Wäsche schnell trocken zu bekommen.





Entlang der Mauern des Arsenale kommt man irgendwann auch zur Holzbrücke, von der man einen knappen Blick in das Arsenalgelände werfen kann. Das Betreten ist verboten, weil es heute Militärgelände ist.



Von den diversen Figuren ist der sitzende Löwe am berühmtesten. Diese etwa 3 Meter große Figur aus Marmor wurde 1687 als Kriegsbeute im  Hafen von Piräus geraubt und nach Venedig geschafft.  Sie soll bereits um 360 a.C. erschaffen worden sein!

Nach meinem langen Irren durch das Labyrinth Venedig,  sitze ich endlich auf dem Vaporetto und genieße die Fahrt.

auf geht's - von der Haltestelle Arsenale zur Haltestelle Bacini



Ziemlich rasch verschwindet die Stadt aus meinem Blickfeld. Es geht um die Kurve, und dann dauert es auch  nicht lange, bis zum ersten Mal das gesuchte Objekt in der Ferne erscheint.



In mir bricht der Jubel aus. Auch wenn ich es nicht zu Fuß geschafft habe, so scheine ich doch endlich auf dem richtigen Weg zu sein. Es sind kaum Fahrgäste an Bord, und ich bin die einzige Person, die aussteigt. 
Ein bisschen einsam kommt es mir hier schon vor. Ein Hinweisschild entdecke ich auch nicht. Irgendetwas weist dann doch auf Kunst hin, also klingele ich. Ein erstaunter Herr erklärt mir, dass dies hier nur für Clubgäste eine Kunstausstellung sei, erklärt mir aber den Weg zu dem von mir gesuchten Objekt.
Vorbei an Brombeerbüschen, Mauern, leerstehenden Fabrik- und sonstigen Gebäuden erreiche ich ein halboffenes Tor. Ein Mann arbeitet an irgendeinem Kabel. Er würdigt mich keines Blickes. Das seitlich angebrachte Schild lese ich lieber nicht. Ich gehe einfach weiter und versuche mir bei alldem nichts zu denken. Ich weiß ja genau, was ich sehen will. 
Ganz einsam, zwischen total verlassenen Gebäuden, taucht es auf. Rundherum knirscht es. Kräne ächzen und stöhnen mit dem Wind um die Wette.                                                                             
Bereits seit 1999 wird dieser Bereich eines alten Industriegeländes und der ehemaligen Schiffswerften mit seinen Hallen, teils aus dem 16. Jahrhundert, als Ausstellungsfläche genutzt. Offenbar ist also nur ein Teil heute militärisch genutzt und deswegen für Besucher gesperrt.
Der blaue Himmel auf den Fotos täuscht, ein Unwetter soll im Anmarsch sein. 


Erschaffen wurde die Skulptur von Lorenzo Quinn, Sohn des verstorbenen Schauspielers Anthony Quinn. 

Die 6 Händepaare sind 15 Meter hoch! Sie bilden eine Brücke über einem kleinen Kanal. Weisheit, Hoffnung, Hilfe, Glaube, Freundschaft und Liebe sollen sie darstellen. In Zeiten, in denen globale Krisen die Schlagzeilen beherrschen, ruft er zum Zusammenhalt auf und erinnert an die  Fähigkeit der Menschen, Grenzen zu überwinden und gemeinsam zu handeln. Ich bin fasziniert.  


Building Brigdes wurde auf der Biennale 2019 gezeigt. Jetzt ist es rundherum durch eine einfache Kette gesichert, mit dem Hinweis, dass das Betreten verboten sei. Ich nehme an, dass das vor allem versicherungsrechtliche Gründe hat, damit man keinem die Schuld zuschieben kann,  wenn man in den Kanal fällt.





Es scheint doch geführte Ausflüge in einen anderen Bereich des Arsenale zu geben, denn über einen anderen Kanal hinweg, hinter dem Turm zur Einfahrt, entdecke ich eine Besuchergruppe. Aber zu den Händen kommen sie nicht.


Ein bisschen unheimlich wird es mir mit der Zeit schon. Durch den starken Wind und die Geräusche in dem verlassenen Industriegelände werde ich eher an einen Krimi als eine Kunstausstellung erinnert. Ich gehe. 
Der Elektriker werkelt noch, das Tor steht offen, und die Brombeeren sind zwischenzeitlich nicht gereift.
 Zurück an der Haltestelle, muss ich nicht lange warten, da kann ich schon einsteigen und plane bis Fundamente Nuovo zu fahren.

Unterwegs stelle ich fest, dass das Schiff  auch bis zur Friedhofsinsel San Michele fährt. Das Wetter scheint nicht besser zu werden, es stürmt immer mehr. Aber so einfach komme ich da vielleicht nicht wieder hin, also bleibe ich sitzen. Wer weiß wie morgen das Wetter ist.


Hier sind wenigstens ein paar Menschen unterwegs, mehr als 5-6 sehe ich allerdings nicht.

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Die Mauern für die Urnengräber finde ich enorm hoch. Aber wohin soll man sonst ausweichen, wenn man keinen Platz hat. Auf den Wegen stehen überall hohe Leitern herum. Die rollt man sich dann offenbar dorthin, wo man den Plastikschmuck erneuern, oder eine neue Urne unterbringen will. 


Ich sehe dort nur Plastikblumen, trotzdem ist für alle Fälle vorgesorgt! Zwischen den Grab-Hochhäusern gibt es funktionierende Wasserhähne und reichlich Gießkannen!


Es existieren auch Bereiche mit Gräbern unter der Erde. Dort kann man auf den Grabsteinen lesen, welche hochherrschaftlichen Persönlichkeiten wie Gesandtschafter, Adelige usw. in Venedig gelebt und ihre letzte Ruhe gefunden haben. Auch Igor Stravinsky zählt dazu. 


Ich suche jetzt den Weg zum Ausgang. Übernachten will ich hier nicht. Eigentlich gehe ich gerne und durchaus auch ausgiebig auf Friedhöfen herum. Vielleicht ist mein Hirn heute schon übersättigt. Ich mag nicht mehr. Außerdem will ich nicht erst im Regen im Hotel zurück sein.





Der teils völlig verrottete Inhalt dieser alten Grabräume erinnert mich an den großen Friedhof in Buenos Aires.


Auch hier wird es mir langsam unheimlich, der Wind wirft die Plastikblumen aus ihren Behältern und wirbelt sie herum. Der Himmel verdunkelt sich immer mehr. Kaum jemand ist mehr unterwegs. Ich nehme das nächste Schiff.

In Venedig schwappt schon das Wasser auf die Promenade. Die Gondeln sind fest vertaut und schaukeln heftig auf und ab. Die kleinen Motorboote werden hin- und herumgeworfen und kämpfen mit den Wellen um den rechten Kurs.


Eine Möwe kämpft tapfer um ihre vermeintlich leckere Beute. Da das Plastikteil aber immer wieder aus dem Schnabel herausrutscht, gibt sie auf und erspart sich erstmal einen kaputten Magen. 


Und wie sieht es mit Nachdenken aus? Fehlanzeige. Es werden weiterhin Zigarettenkippen, Plastikabfall etc. auf den Boden geworfen und vom Wind ins Wasser geweht.

Am Markusplatz vorbei, könnte ich zwar direkt zum Hotel gehen. Aber ein Rundumblick lohnt sich immer. Die stummen Beobachter an den Säulen gehen ja auch nicht ins Bett.


Die Wolken sehen wirklich bedrohlich aus. Auf dem Platz bilden sich bereits erste Wasserlachen und die Stege sind schon aufgestellt.





Die einen machen Selfies, die anderen versammeln sich zu einer großen Veranstaltung. Wer geladen ist, kann innerhalb der strengen Absperrung Platz nehmen. Der Rest schaut von draußen zu.


Die jungen Leute haben ihre Abschlussprüfung an der Universität bestanden und bekommen heute feierlich auf der Bühne ihre Urkunden überreicht. Das Verlesen der Namen, Antreten auf dem Podium und Entgegennahme der Urkunden geschieht in rasendem Tempo. Lediglich dem Fotografen ist es gestattet, die Momente der Graduation festzuhalten. Wer sein Papier hat, darf den Hut aufsetzen und ausharren, bis alle dran waren.



Ich warte nicht so lange, sondern lasse mich erschöpft auf mein Bett fallen.



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